Einflussfaktoren auf den Rettungsdienst: Herausforderungen und Perspektiven eines Systems im Wandel
Der Rettungsdienst ist ein zentraler Baustein der Notfallversorgung in Deutschland und steht unter einem ständigen Veränderungsdruck. Zahlreiche Faktoren, darunter gesellschaftliche Entwicklungen, gesetzliche Neuerungen und Reformvorhaben, prägen das System maßgeblich.
Im Folgenden werden exemplarisch mehrere Einflussfaktoren betrachtet, die das System Rettungsdienst aktuell prägen und auch zukünftig vor Herausforderungen stellen werden. Hierzu zählen die Entwicklung des Notfallaufkommens und die damit verbundenen Herausforderungen, sowie die aktuell ausstehenden und durch das Ende der Ampelkoalition weiter aufgeschobenen Reform der Notfallversorgung. Außerdem wird mit dem Konzept des*der Gemeindenotfallsanitäter*in ein seit 2019 erprobter Ansatz dargestellt, der im Kontext der Reform der Notfallversorgung aufgegriffen wurde, um eine Unterstützung des aufsuchenden Dienstes der Kassenärztlichen Vereinigungen durch den Rettungsdienst zu skizzieren.
Entwicklung des Notfallaufkommens
Im Rahmen der von antwortING im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) durchgeführten bundesweiten Analyse des Leistungsniveaus des Rettungsdienstes für die Jahre 2020 und 2021 wurde der seit Längerem beobachtete Anstieg des Notfallaufkommens in den vergangenen Jahren erneut aufgezeigt.
Ursächlich für diesen Anstieg ist unter anderem auch der demografische Wandel, der insbesondere durch altersspezifische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Probleme und chronische Leiden das Einsatzaufkommen insgesamt ansteigen lässt.
Eine alternde Gesellschaft birgt zudem neben dem quantitativen Anstieg des Notfallaufkommens auch weitere Herausforderungen für den Rettungsdienst, wie die Zunahmen an geriatrischen Erkrankungsbildern, die gegebenenfalls eine komplexere Versorgung benötigen.
Somit steigen auch die fachlichen Anforderungen an das Rettungsdienstfachpersonal, um geriatrische Notfälle optimal zu versorgen.
Diesen steigenden Anforderungen sollte im Rahmen einer geeigneten Aus- und Fortbildung des Rettungsdienstfachpersonals Rechnung getragen werden.
Herausforderungen der Steuerung von Hilfeersuchen
Im Rettungsdienst wird zudem vermehrt eine Zunahme von weniger dringlichen Hilfeersuchen beobachtet.
Flankiert wird dieses Phänomen davon, dass es mehrere telefonische Anlaufstellen für die Hilfeersuchen gibt (Rettungsleitstellen und Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigung).
Außerdem bestehen Defizite bei der Steuerung der Hilfeersuchen und Zuweisung zur richtigen Versorgungsebene (Rettungsdienst, Hausarzt, Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung, Notaufnahme eines Krankenhauses).
Erschwerend kann es zu einer fehlerhaften Ersteinschätzung beim telefonischen Erstkontakt mit den Hilfeersuchenden kommen.
In Verbindung mit einer fehlenden oder unvollständigen Vernetzung der verschiedenen Anlaufstellen und Versorgungsebenen kommt es somit vermehrt vor, dass die Hilfeersuchenden selbst darüber entscheiden, welche Versorgungsebene sie aufsuchen oder bemühen, anstatt dass ihnen die für sie geeignete Versorgungsebene zugewiesen wird.
Reform der Notfallversorgung
Um eine bundesweit einheitliche und gleichwertige Notfallversorgung für alle Hilfeersuchen in Deutschland zu erreichen, wurden von der Bundesregierung verschiedene Reformvorhaben begonnen, die nun durch das Ende der Ampelkoalition zum Teil auf den Zeitraum nach den Neuwahlen verschoben werden.
Zum einen wurde ein Entwurf des Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung erarbeitet, der mit verschiedenen Maßnahmen eine Verbesserung der Notfallversorgung erreichen sollte.
Optimierte Steuerung von Hilfeersuchen durch vernetzte Leitstellen
Durch die Vernetzung der Rettungsleitstellen mit den Akutleitstellen der Kassenärztlichen Vereinigung sollte eine bessere Steuerung der Hilfeersuchen erreicht werden.
Zudem sollte die Vernetzung der Leitstellen mit einer wechselseitigen digitalen Fallübergabe verbunden werden, um bereits zu einem Hilfeersuchen aufgenommene Daten ohne Informationsverluste weitergeben zu können.
Des Weiteren sollte durch den Einsatz standardisierter Abfragesysteme die Ersteinschätzung der Hilfeersuchen verbessert werden.
Flächendeckende Einführung integrierter Notfallzentren
Als weiteren Ansatz verfolgte der Entwurf des Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung das Ziel, flächendeckend integrierte Notfallzentren (INZ) zu etablieren.
Ein INZ sollte dabei die Verbindung der Notaufnahme eines Krankenhauses mit einer Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung darstellen, welchen zusammen eine zentrale Ersteinschätzungsstelle vorgeschaltet werden sollte.
Auch hier sollte eine digitale Vernetzung der drei Bestandteile eines INZ zur Weitergabe der erhobenen Daten untereinander erfolgen.
Ergänzend zur Etablierung der INZ wurde zudem eine bedarfsorientierte Etablierung von integrierten Notfallzentren für Kinder- und Jugendliche (KINZ) an geeigneten Standorten geplant.
Ausbau der notdienstlichen Akutversorgung durch die Kassenärztliche Vereinigung
Neben diesen beiden Aspekten wurde mit dem Entwurf des Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung außerdem der Ausbau der notdienstlichen Akutversorgung der Kassenärztlichen Vereinigung angestrebt.
Hierbei sollte eine durchgängige (24 Stunden täglich) telemedizinische und aufsuchende Versorgung für Patienten etabliert werden, bei denen eine sofortige Behandlung bzw. Erstversorgung aus medizinischen Gründen erforderlich ist.
Diese Versorgung sollte dabei ausdrücklich auf die Erstversorgung der Patienten begrenzt werden.
Zudem wurden Ansätze skizziert, dass die aufsuchende Versorgung unter Einbindung von qualifiziertem nichtärztlichem Personal oder durch Kooperationen mit dem Rettungsdienst erfolgen könnte.
Das Konzept Gemeindenotfallsanitäter*in
Die Kooperation mit dem Rettungsdienst könnte dabei zum Beispiel durch den Einsatz von sogenannten Gemeindenotfallsanitäter*innen erfolgen.
Das Konzept des Einsatzes von Gemeindenotfallsanitäter*innen wird bereits seit 2019 in den Landkreisen Ammerland, Cloppenburg, Vechta sowie in der Stadt Oldenburg erprobt.
Grundlegender Bestandteil des Konzeptes ist der Einsatz eines Fahrzeuges, das einem NEF ähnelt, dessen Ausstattung aber auf die fachlichen Möglichkeiten von Gemeindenotfallsanitäter*innen angepasst ist.
Als Personal werden Notfallsanitäter*innen eingesetzt, die über mindestens fünf Jahre Berufserfahrung verfügen und einen zusätzlichen Vollzeitlehrgang von 480 Stunden absolvieren. Dieser Vollzeitlehrgang bereitet sie im Rahmen von theoretischen und praktischen Unterrichtsphasen auf den Einsatz als Gemeindenotfallsanitäter*in vor, schließt mit einer Prüfung ab.
Durch diesen Lehrgang soll der eingangs erwähnten möglichen Komplexität der Versorgung geriatrischer Patient*innen Rechnung getragen werden.
Die Gemeindenotfallsanitäter*innen verfügen dann über eine Behandlungskompetenz und eine Zuweisungskompetenz. Neben der Beurteilung der Behandlungsdringlichkeit und der Behandlung vor Ort sollen die Gemeindenotfallsanitäter*innen auch die Zuweisung der Patient*innen in die für sie geeignete Versorgungsebene des Gesundheitssystems sicherstellen.
Dabei können sie durch einen Telenotarzt unterstützt werden.
Die Disposition der Gemeindenotfallsanitäter*innen erfolgt über die zuständige Leitstelle des Rettungsdienstes und erfordert eine standardisierte Notrufabfrage, wie sie auch im Entwurf des Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung vorgesehen ist.
Durch den Einsatz der standardisierten Notrufabfrage soll unter anderem im Rahmen der Disposition sichergestellt werden, dass kein Einsatz für einen Rettungswagen vorliegt und keine andere Transportindikation vorliegt.
Einsatztaktisch bieten Gemeindenotfallsanitäter*innen zu dem den Vorteil, dass bereits ein*e Notfallsanitäter*in vor Ort ist, wenn doch ein Notfall an der Einsatzstelle vorliegen sollte.
Zudem ist ein Einsatz als First Responder bei lebensbedrohlichen Notfällen denkbar.
Fazit
Trotz des Endes der Ampelkoalition bleiben die Herausforderungen, vor denen der Rettungsdienst in Deutschland steht, bestehen.
Innovative Ansätze wie das Konzept Gemeindenotfallsanitäter*in können ein Baustein sein, diesen Herausforderungen zu begegnen.
Die Verzögerung der Umsetzung der Reform der Notfallversorgung entbindet die Träger*innen des Rettungsdienstes jedoch nicht von ihrer Verantwortung, sich aktiv mit den Entwicklungen und Veränderungen im Rettungsdienst in ihrem Zuständigkeitsbereich auseinanderzusetzen.
Es bleibt entscheidend, kontinuierlich Optimierungsmöglichkeiten zu identifizieren und umzusetzen, um den Rettungsdienst langfristig auf die wachsenden Herausforderungen vorzubereiten und zukunftsfähig zu gestalten.